Regenzeit im Äthiopischen Hochland – Fluch und Segen gleichermaßen

Ein Bauer treibt sein Vieh durch die überfluteten FelderJahr für Jahr fallen während der Regenzeit gewaltige Mengen Niederschlag im Äthiopischen Hochland. Unzählige kleine und größere Flüsse münden im Nordwesten des Landes in den Tana See. Der in knapp 1.800 Metern Höhe gelegene See, mit einer Fläche von 3.600 km2, ist Äthiopiens größter Süßwasserspeicher.

Am Südufer des Sees, nahe der Stadt Bahir Dar, verlässt ein zur Regenzeit tief braun gefärbter Strom, der Blaue Nil, den See. Auf seinem langen Weg durch Äthiopien, den Sudan bis hin nach Ägypten führt der Blaue Nil den fruchtbaren Boden mit sich, der im Hochland Äthiopiens durch Erosion ausgewaschen wurde und schließlich in Ägypten abgelagert wird und als Grundlage für die dortige intensive Bewässerungs-Landwirtschaft dient.

Am Ostufer des Tana Sees dehnt sich eine weite Ebene aus, die sogenannte Fogera Plain. Diese Ebene wird von den Bauern vor allem zum Reisanbau genutzt. Auch für die Vogelwelt hat diese Landschaft eine besondere Bedeutung. Zur Zeit des europäischen Winters lassen sich hier beispielsweise die Kraniche nieder, die man alljährlich in Ostwestfalen-Lippe bei ihrem Flug nach Afrika beobachten kann. Auch während der äthiopischen Regenzeit prägen zahlreiche Kronenkraniche, verschiedene Störche, Gänse, Enten, Eisvögel, Reiher, Ibisse, Fischadler und viele weitere Vogelarten das Landschaftsbild. Gemeinsam mit den ansässigen Landwirten sitzen und „arbeiten“ sie in den, vom Niederschlag durchgeweichten, Wiesen und Feldern und erfreuen sich an dem unerschöpflich erscheinenden Nahrungsangebot.

Ein Storch auf NahrungssucheWie in vielen anderen Gegenden Äthiopiens auch, haben die Menschen in den vergangenen Jahrzehnten jedoch einen starken Raubbau an ihrer Natur begangen. Von den einst natürlichen Wäldern rund um den Tana See sind lediglich noch vereinzelte Vorkommen zu finden. Diese Rodung hat dazu geführt, dass die Bodenerosion bedrohliche Ausmaße angenommen hat. Dem waldlosen Boden ist seine Fähigkeit den Niederschlag zu speichern verloren gegangen und so fällt die jährliche Überflutung der Ebene um die Stadt Woreta zunehmend stärker und intensiver aus. Im vergangenen Jahr haben in der Region zahlreiche Menschen nach extremen Niederschlägen in reißenden Flüssen ihr Leben verloren.

Auch in diesem Jahr sind bereits wieder große Flächen der Fogera Ebene von der Außenwelt abgeschnitten und überschwemmt. Für die am stärksten von der Flut betroffenen Bewohner hat die Äthiopische Regierung, gemeinsam mit internationalen Hilfsorganisationen, ein notdürftiges Auffanglager auf einem kleinen Hügel nahe der Stadt Addis Zemen errichtet. „Momentan befinden sich ca. 1.250 Menschen in dieser Notunterkunft“, erklärt Getenew Zewdu, von der britischen Hilfsorganisation Save the Children. „In den kommenden Wochen werden aber noch bis zu 20.000 Menschen, die von der Flut betroffenen sind, hier erwartet.“

Doch schon jetzt scheint die Situation in dem Lager völlig unbefriedigend zu sein. Mit einfachen Hölzern und grünen, löchrigen Planen wurden hallenartige Unterkünfte errichtet, in denen die Menschen während der Nacht und der starken Niederschläge Schutz finden sollen. Um Probleme zu verhindern gibt es getrennte Behausungen für die Frauen und Kinder sowie für die Männer. Vor den Unterkünften sitzen die Menschen auf schlammigem Boden und warten, mit traurigem Blick auf den Himmel gerichtet, auf das Ende der Regenzeit und mit der Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr in ihre verlassenen Dörfer. Wer Glück hatte, konnte sein Vieh mit auf den Weg in das Lager nehmen. Alles weitere persönliche Hab und Gut musste zurückgelassen werden.

Die Lage im Lager ist bereits jetzt angespanntWährend einige Frauen ihre Säuglinge im Matsch und Schlamm stillen, sind andere damit beschäftigt auf offenem Feuer aus Wasser und Mehl eine Art Brot, die einzige verfügbare Nahrung, zu backen. Nicht einmal Salz und Zucker steht den Menschen zur Verfügung. Ebenso finden sich keine ausreichenden sanitären Einrichtungen. So ist es nicht verwunderlich, dass einer der meist besuchten Plätze in dieser Unterkunft ein kleines Zelt mit der handgeschriebenen Aufschrift „Clinic“ ist. Hier werden vor allem die älteren Menschen sowie Kinder behandelt. Wie die einzige Krankenschwester berichtet, habe in den letzten Tagen die Zahl der Durchfallerkrankungen besorgniserregend zugenommen.

Vielleicht wurde das Grün für die Planen der Unterkünfte bewusst gewählt. Von der von Touristen viel befahrenen Straße Richtung Gondar, deren Paläste von der UNESCO als Welterbestätte ausgezeichnet wurden, ist diese Notunterkunft jedenfalls nicht zu erkennen. Vielleicht ist es auch Ironie des Schicksals, dass dieses Lager an einem Ort errichtet wurde, der in vergangenen Zeiten ein berühmter Schauplatz des Sklavenhandels war.

Während einige der Männer, ausgestattet mit Kalaschnikows, das Lager während der beginnenden Dämmerung vor Leoparden und Hyänen schützen, ist Getenew Zewdu schon wieder auf dem Weg nach Addis Abeba, um weitere Hilfe und Unterstützung anzufordern.

Zwischenzeitlich hat der Himmel wieder seine Schleusen geöffnet und Starkregen prasselt ohne Unterbrechung auf die Menschen nieder. Der Wasserspiegel des Tana Sees wird weiter ansteigen. Unaufhaltsam wird der Blaue Nil seine Fracht, den fruchtbaren äthiopischen Boden, erst durch das Äthiopische Hochland und dann durch die Wüste in den Sudan und nach Ägypten, transportieren und dort die Felder entlang des Stroms in sattem Grün erstrahlen lassen. Dort kann man gelassen guten Ernten entgegenblicken.

WHS ist seit mehreren Jahren rund um den Tana See in verschiedenen Projekten zum Aufbau eines umweltverträglichen Tourismus und zur Bewahrung und Rehabilitation der natürlichen Lebensräume der Region aktiv.

Impressionen vom Lake Tana, Äthiopien

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Fotos: Henning Schwarze – Copyright 2007 by World Habitat Society GmbH

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