Nachhaltige Entwicklung und Tourismus: Ein Widerspruch? Erfahrungen aus Zypern

Wandergruppe auf Zypern (Foto: W. Gronau)Tourismus als Antriebsfeder der globalen Wirtschaft

Der Tourismus ist ohne Frage einer der wichtigsten Wirtschaftszweige weltweit und seine immer noch atem-beraubenden Wachstumsraten werden seine Rolle in Zukunft noch weiter verstärken. Eben diese Entwicklung ist darüber hinaus nicht etwa auf klassische Urlaubsländer oder etwa neue Tourismusdestinationen begrenzt.

Auch ganz klassische Industrienationen in Zentraleuropa wie Deutschland oder England verzeichnen einen stetigen Anstieg des Tourismus an der gesamten Wirtschaftsleistung, so ist etwa die Tourismusindustrie in Großbritannien seit Jahren die einzige Branche die noch neue Arbeitsplätze im großen Stil schafft. Mit anderen Worten: Tourismus ist ein Faktor, der in die zukünftige Entwicklung miteinbezogen werden muss.

Tourismusstrukturen und Ihre Folgen

In der täglichen Auseinandersetzung mit dem Tourismus sehen wir jedoch all zu häufig eine Vielzahl negativer Folgen auf die Umwelt oder auch auf die lokale Gesellschaft, die direkt oder indirekt ihre Wurzeln in diesem Wirtschaftszweig haben. Diese Effekte sind vor dem Hintergrund, dass Tourismus ebenso wie andere Wirtschaftszweige primär an der Gewinnmaximierung des eingesetzten Kapitals interessiert ist, nicht verwunderlich. Die für eine nachhaltige Entwicklung notwendige langfristige Perspektive wird ebenso häufig vernachlässigt wiedie notwendigen Dimensionen Gesellschaft und Umwelt. In diesem Zusammenhang spielt natürlich auch die Struktur der Tourismusindustrie eine wichtige Rolle. Sie ist gekennzeichnet durch die „Global Player“ der Tourismusindustrie wie etwa TUI oder Thomas Cook auf der einen Seite, die inzwischen eine bereits beängstigende Marktstellung innehaben und auf der anderen Seite sehen wir eine nahezu unübersehbare Anzahl unterschiedlicher Urlaubsländer und -regionen die auf eben jene Veranstalter angewiesen sind, um das Fortbestehen der lokalen Tourismuswirtschaft zu sichern. Diese Vorraussetzungen führen zwangsläufig zu einem Übergewicht der Interessen der Veranstalter und zu einem geringen Einfluss der jeweiligen Destinationen auf Ihre eigene Entwicklung. Lokale Gesellschaften werden zu Beobachtern der touristischen Entwicklung in ihren eigenen Ländern, die lokale Natur wird zur Bühne auf der sich die Tourismusindustrie rücksichtslos präsentiert. Diese Situation ist allerdings keine unumgängliche Konsequenz, nachhaltige Entwicklung unter Einbeziehung von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt können auch in der Tourismusindustrie erfolgreich umgesetzt werden, wie das nachfolgende Beispiel aus Zypern zeigt.

Die Destination Zypern

Traditionelle Herstellung von Käse (Foto: W. Gronau)Zypern, die sonnige Insel im östlichen Mittelmeer am Schnittpunkt dreier Kontinente, verkörpert mit seinen 2,8 Millionen Touristen pro Jahr und einer Bevölkerung von nur knapp 800.000 Einwohnern den Prototyp einer sehr stark vom Tourismus abhängenden Volkswirtschaft. Der bereits in den frühen 70’er Jahren einsetzende Massentourismus hat die Insel geprägt. Die annährend 50.000 Betten, vor allem im „Sun and Beach-Segment“, haben der natürlichen Flora und Fauna in den Küstenregionen nur wenige Rückzugsräume gelassen. Gleichzeitig hat der Tourismus auch tiefe Spuren in der lokalen Gesellschaft hinterlassen. Unterschiedliche Studien belegen nicht nur einen dramatischen Wandel im Werteverständnis, sondern auch in so alltäglichen Dingen wie etwa den Essgewohnheiten. Die starke Abhängigkeit vom Tourismus und die über Jahrzehnte hinweg spru-delnden Einnahmen haben in der lokalen Gesellschaft zu einer weitgehenden Ausblendung aller damit verbundenen negativen Folgen geführt.Erst die sinkenden Touristenzahlen und die damit verbundenen sinkenden Einnahmen aus dem Tourismus sowie ein immer stärkerer Identitätsverlust der Bevölkerung haben vereinzelt zu einem Umdenken geführt. Konzepte wie etwa nachhaltige Entwicklung oder sanfter Tourismus werden nun verstärkt von einzelnen Akteuren aufgegriffen. In diesem Umfeld entstehen nun zum Teil sehr kreative und kleinteilige Lösungen die durchaus das Potential in sich tragen auch auf andere Regionen und Destinationen übertragen zu werden. Tourismus wird häufig zur treibenden Kraft für nachhaltige Entwicklung, wie das nachfolgende Beispiel zeigt.

Das Fallbeispiel Cyprus Villages Management

Angebot und Konzept des Unternehmens

Cyprus Village Management ist der Name eines Tourismusunternehmens, das sich sehr frühzeitig und sehr nachdrücklich dem Konzept des nachhaltigern Tourismus verschrieben hat und insofern als Vorreiter in Zypern gelten kann. Die Wurzeln des Unternehmens liegen in der Sanierung und Vermietung traditioneller zyprischer Dorfhäuser an Touristen. Nach einer langen Phase der Ungewissheit, in der es galt lokale Skepsis und Widerstände zu überwinden, hat sich das Unternehmen vor allem seit Ende der 90’er Jahre sehr positiv entwickelt. Aus den anfänglich zwei Häusern sind binnen weniger Jahre annähernd 100 Häuser in 5 verschiedenen Dörfern geworden. Das Konzept des „Leben im Dorf“ und „Teilhaben am lokalen Dorfleben“, die damit verbunde Authentizität und die Einbeziehung des Gastes in ein persönliches Umfeld mögen die Hauptfaktoren für den Erfolg sein. Die steigende Anzahl an Unterkünften, vor allem in den beiden Dörfern Tochni und Kalavassos, haben zu einer umfassenden Sanierung der traditionellen Baustruktur beigetragen. Die Unterkünfte ebenso wie die übrige Infrastruktur von Cyprus Villages, eine Taverne, ein öffentlicher Swimmingpool, Tagungsräume etc. sind flächig im Dorf verteilt, was zu dem Eindruck einer perfekten Symbiose zwischen einem traditionellen zyprischen Dorf und einem Hotelressort führt. Diese Aktivitäten und die damit verbundenen Besucher haben innerhalb des Dorfes nicht nur zu neuen Arbeitsplätzen im direkten Umfeld des Unternehmens geführt, es wurden auch weitere Tavernen eröffnet und auch ein Dorfladen macht gute Geschäfte. Aber das Konzept geht noch einen Schritt weiter, so werden darüber hinaus auch umweltfreundliche Aktivitäten für die Gäste angeboten. So gehören eine Vermietstation für Fahrräder und eine Reitfarm zum Angebot, auch wurde die Kooperation mit der lokalen Gemeindeverwaltung gesucht, um gemeinsam öffentliche Wander- und Radwege auszuweisen, die nun zum festen Bestandteil der geführten Wanderungen gehören. Die intensive Kooperation mit der lokalen Verwaltung ermöglichte auch weitere Projekte wie etwa die Wiederherstellung des ehemaligen Dorfbackofens. Diese Sanierung gab so dann den Anstoß noch einen Schritt weiterzugehen und zu versuchen den bisher doch eher informellen Austausch zwischen Bewohnern und Touristen weiter zu stärken und somit auch eine noch stärkere Einbeziehung der Bevölkerung in den Tourismus zu erreichen.

Das Ergebnis war ein Aktivitätenprogramm, das den Touristen in das tägliche Dorfleben integriert. Kleingruppen von Gästen können im zumeist häuslichen Umfeld des Gastgebers an unterschiedlichsten Aktivitäten teilnehmen, etwa dem Einmachen von traditioneller Marmelade, der Herstellung des traditionellen Halloumikäse, oder dem Brotbacken im frisch sanierten Dorfbackofen. Das Konzept von Cyprus Villages beruht somit auf drei Hauptpfeilern: Nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung durch Inwertsetzung traditioneller Bausubstanz und Schaffung von Arbeitsplätzen im dörflichen Umfeld, Angebot von umweltfreundlichen Aktivitäten und damit Abmilderung von ökologisch negativen Folgen des Tourismus und schließlich nachhaltige Entwicklung im Bereich der Gesellschaft durch Einbeziehung der lokalen Bevölkerung.

Effekte der Aktivitäten von Cyprus Villages

Welche Effekte dieses Konzept der „Dorfaktivitäten“ tatsächlich hat und inwiefern es die Erwartungen hinsichtlich nachhaltiger Entwicklung erfüllt wurde an Hand einer wissenschaftlichen Studie ermittelt. Die Ergebnisse waren sehr interessant und teilweise auch überraschend. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Dimension konnte festgestellt werden, dass das zusätzliche Einkommen der Dorfbewohner durch die Aktivitäten in Einzelfällen bis zu 50% des Haushaltseinkommens repräsentierte. Insgesamt konnte ein Mittelwert des Anteils von ca. 20% ermittelt werden.

Aber neben der wirtschaftlichen stellt sich vor allem die gesellschaftliche Dimension als höchst relevant heraus. So wurde eine deutliche Zunahme – speziell innerhalb der jüngeren Generation – an traditionellem Wissen und Interesse an traditionellen Lebensweisen festgestellt. Mit anderen Worten: die Präsentation der eigenen Kultur gegenüber den Touristen sowie deren Interesse, hat auch zu einer Bewusstwerdung traditioneller Werte und Fähigkeiten innerhalb der Bevölkerung geführt. Traditionelles Wissen wurde belebt und weitergegeben. So haben etwa die Kochkurse einen wahren Boom an traditionellen Speisen und Getränken innerhalb der lokalen Bevölkerung bewirkt. Auch die Wiederherstellung des Dorfbackofens und dessen Nutzung hatte interessante Folgen. So entstand etwa eine rege Diskussion unter den Einheimischen über die Holzsorten die es zur Anfeuerung zu verwenden gilt. Auch die Wiederbelebung des Töpferns innerhalb des Dorfes und die traditionelle Sanierung der Häuser hat einen bleibenden Eindruck auf die junge Generation gemacht. So war eine reale individuelle Auseinandersetzung mit Vorteilen traditioneller Bauformen etwa im Hinblick auf Ventilation und Kühlung möglich. In der Konsequenz haben sich das Interesse an und die Nutzung von traditioneller Bauweise deutlich erhöht.

Traditionelle Bausubstanz auf Zypern (Foto: W. Gronau)Darüber hinaus fanden sich ebenso positive Effekte im Hinblick auf die Umwelt, so wurde einerseits der Anteil umweltfreundlicher Urlaubsaktivitäten in Form von Wandern, Radfahren und Reiten gestärkt. Gleichzeitig sank auch der durch die Touristen  induzierte Verkehrsaufwand, da die neuen Angebote in Form der Dorfaktivitäten eine geringere Orientierung der Touristen auf externe zumeist nur mit Mietwagen zu erreichende Attraktionen bewirkte. Des Weiteren wurde eine deutliche Reduktion von Herbiziden und Pestiziden in der lokalen Landwirtschaft beobachtet. Der Sachverhalt, dass sich Touristen erschrocken über den massiven Einsatz derartiger Mittel äußerten und dementsprechend der Absatz der lokalen Produkte nur schleppend vor sich ging, haben sich die lokalen Bauern um ökologische Anbauweisen bemüht. Die daraus resultierende Erfahrung, dass die Mindererträge durch die höheren Einahmen deutlich aufgewogen werden können, hat auch nachhaltig zu einem Umdenken geführt.

Fazit

Wie am vorgestellten Beispiel belegt, kann Tourismus durchaus seinen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten, allerdings ist dafür ein radikales Umdenken in der Tourismuswirtschaft wie auch in den jeweiligen Destinationen von Nöten. Konzepte, wie das Vorgestellte, die den Tourismus als komplexes Wirkungsgeflecht begreifen und versuchen die positiven Effekte für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt zu optimieren, müssen den stumpfen Massentourismus ablösen. Dass solche Konzepte möglich und auch äußerst erfolgreich sein können, belegt das Beispiel von Cyprus Villages Managment. Nachhaltige Entwicklung und Tourismus stellen also nicht zwangsläufig einen Widerspruch dar, um auf die Eingangsfragestellung zurückzukommen. Im Gegenteil, sie können sich sogar gegenseitig positiv verstärken.

Doch wie so häufig: Es kommt eben darauf an, was man daraus macht!

Autor:  Dr. Werner Gronau
Kontakt: gronau.w@unic.ac.cy

Werner Gronau ist Assistant Professor an der School of Business,
Department Tourism & Hospitality, der University of Nicosia/Zypern.

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