Utopia in Äthiopien

Ein Schild weist den Weg zur “Cultural Tourism Destination Awra Amba”Pro-Poor Tourismus, oder Tourismus als Entwicklungshelfer, steht seit einiger Zeit wieder hoch im Kurs theoretischer Abhandlungen. Kann Tourismus dazu beitragen Armut in Reisedestinationen zu mindern, oder profitieren am Ende nicht doch nur Reisende und eine kleine Elite? Im Rahmen einer geographischen Abschlussarbeit an der Leuphana Universität fand ein ganz spezieller Praxistest in einem der ärmsten Länder der Welt statt: in Äthiopien.

“Äthiopien? Ist dort nicht gerade wieder eine Hungerskatastrophe, da muss man doch Proviant mitnehmen?”, so fragten Bekannte kurz vor Reisestart ans Horn von Afrika. Das Image von Äthiopien könnte besser sein und dennoch sind die Ambitionen des äthiopischen Tourismusministeriums groß. Äthiopien will unter die Top – Ten der afrikanischen Urlaubsdestinationen, gerade wegen des Images und erhoffter Einnahmequellen. Aber hat das Land das Potential dazu? Nach zwei Wochen Feldforschung unter Touristen in Nordäthiopien lautet die Antwort eindeutig: “ja”. Zwischen Frage und Antwort liegen zudem beeindruckende Hochlandbilder, spontane Kaffezeremonieeinladungen, Kulturschätze des koptischen Christentums und auch die Awra Amba Gemeinschaft. Letztere ist ein Geheimtipp unter Touristen und stand im Fokus der Studie.

68 km nordwestlich von Bahir Dar entfernt, liegt das kleine Dorf der Awra Amba. In letzter Zeit kamen einige Touristen in das Dorf, die meisten von ihnen zufällig. Ein Schild weist den Weg zur “Cultural Tourism Destination Awra Amba”, das als Weberdorf angekündigt wird und heute auch in Schulbüchern des Staates verewigt ist. Die Lebensweise der Awra Amba verhalf zu dieser Berühmtheit, wobei die Gemeinschaft keine indigene Gruppe ist. Die Gemeinschaft gründete der charismatische Ato Zumra Nuru vor 37 Jahren auf den Prinzipien der Gleichberechtigung. Das landestypische Injera bereiten Männer zu, Frauen betreuen im Altersheim oder arbeiten auf dem Feld, jeder nach seiner Façon und einmalig in Äthiopien. Ihr Lebensstil fand jedoch nicht immer Befürworter, sodass die Gemeinschaft bei der Landvergabe stark benachteiligt wurde. Geringe landwirtschaftliche Erträge sind die Folge und fordern Alternativeinnahmen. Tourismus liefert eine solche und wird im Dorf als Chance erkannt.

Besucher werden von zwei Gästeführerinnen durch die Vorschule, zwei Bibliotheken, das Altenheim, die Krankenstation und die Weberei geleitet und erleben so, wie sich die Awra Amba durch Eigeninitiative aus ihrer prekären Situation befreien. Als Touristen können Sie einen Beitrag leisten indem sie Souvenirs aus dem Weberei eigenen Laden kaufen. Gleichberechtigung gilt auch hier, ob Ferenji (Ausländer) oder Äthiopier, alle zahlen das Gleiche. Besucher sind gern gesehen und Teil der Einkommensdiversifizierungsstratgie des Dorfes. Probleme sieht Zumra auch bei erhöhtem Touristenaufkommen nicht. Seit März können Besucher auch ein Nachtquartier im eigens gebauten “hostel” beziehen. Nur wie die Wasserversorgung bei 14 Übernachtungen pro Tag gewährleistet werden soll, gibt ein Beamter des Tourismusbüros zu bedenken, ist noch nicht geklärt. Aber überzeugt ist auch er, dass Tourismus in der Awra Amba Gemeinschaft ein Gewinn für alle ist, nicht zuletzt für das Image Äthiopiens.

Text und Bild: Kati Wade
Kati Wade studiert Geographie an der Leuphana Universität Lüneburg und war kürzlich für zwei Wochen Feldarbeit in der Amhara Region in Äthiopien.

WHS ist seit mehreren Jahren rund um den Tana See in verschiedenen Projekten zum Aufbau eines umweltverträglichen Tourismus und zur Bewahrung und Rehabilitation der natürlichen Lebensräume der Region aktiv.

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